Es gibt aber auch das Gegenteil, positive Erfahrungen. Passt vielleicht irgendwie nicht ganz hierher, aber ich möchte es gerne los werden.
Unsere über dreissig Jahre dauernde Beziehung hat sich durch meinen Schlaganfall weiter gefestigt. Meine Partnerin rief den Krankenwagen und begleitete mich ins Spital. Der Infarkt war noch so frisch, dass beim Röntgen (oder Ultraschall oder was auch immer) nicht klar war, welches Ausmass der Thrombus hatte, für ein MRI blieb keine Zeit. Da ich nicht bei Bewusstsein war, musste meine Liebste im Gespräch mit den Ärzten entscheiden. Sie entschied für die Lyse, trotz der ärztlichen Warnung, dass das eine Blutung verursachen kann und vielleicht das Gerinnsel nicht auflöst. Dank ihres raschen Handelns und Ihres Entscheides kann ich heute nach zwei Jahren wieder zu 50% arbeiten und meine Behinderungen bleiben in einem erträglichen Rahmen.
Trotzdem, die Last des Lyse-Entscheides, das Warten auf die Wirkung der Lyse und meine Akutzeit in der Neurologie/Stroke Unit hat meiner Partnerin solchermassen zugesetzt, dass sie sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Davon erzählte sie mir nie, sie gab immer die Starke ... bis vor ein Paar Wochen, da hat sie sich verplappert
Meine Liebste hat – wie ich auch – innert Tagen so viel gelitten aber auch so viel an Lebenserfahrung gewonnen, dass es kaum zu verkraften war. Nachdem ich aus der Klinik kam, hat sie sich um mich gekümmert, fuhr mit mir mit Bus und Bahn zum Neuropsychologen bis ich den Weg alleine fand und und und. Sie hat mich behütet und mir geholfen, mich aber nie bevormundet oder verwöhnt.
Alles ist heute überstanden.Was bleibt sind ihre Ängste, meine veränderte Persönlichkeit und ein paar Handycaps. Ruft sie mich und ich reagiere nicht sofort, bricht bei ihr Panik aus. Bin ich nicht gut drauf, habe ich mit allem mühe und könnte meine Liebste „erwürgen“, obwohl sie nichts, absolut nichts gemacht hat. Sie wiederum gibt sich mühe, meine „Sch....laune“ zu schlucken und ich beiss mir fast die Zunge ab, um lieb mit meiner Partnerin zu sein. Sie versucht zu verstehen, dass ich nicht die Unwahrheit sage sondern vieles verwechsle oder mir einbilde und ich muss eben schlucken, dass sie sauer wird, wenn ich „Müll“ behaupte, etcetera.
Trotz dieser (und anderer) Schwierigkeiten wissen wir heute besser denn je, wer der andere ist, wie er gelitten hat und wir wissen, dass wir einander brauchen, uns verstehen und unser Lebenszweck unsere gegenseitige Bindung ist. Und wir wollen für einander da sein.
Ich gehe wöchentlich an meinen Stammtisch (=freier Abend für meine Liebste). Meine Partnerin nimmt sich ihre Freiräume, geht gerne mal alleine mit Freundinnen/Schwestern in die Ferien (also ohne mich), respektiert meine Behinderungen und nimmt mich wie ich bin; sie ist Sozialpädagogin und arbeitet mit seelisch und leicht geistig behinderten Erwachsenen – das hilft
Dann schaut sie noch zu ihrer dementen, pflegebedürftigen Mutter und kämpft mit Behörden und der Hauspflege, hat mich an der Backe und muss sich ja auch noch um sich selbst kümmern. Ich weiss nicht woher sie diese Kraft nimmt. Manchmal kommt sie an ihre Grenzen und das macht mich sehr traurig und hilflos, denn viel kann ich ihr nicht geben und helfen. Aber was geht, das tue ich gerne.