#1

Friederike

Heidelberg, Deutschland

Liebes Forum,

meine Mutter (79) hatte letztes Jahr einen Unfall und daraufhin ein Schädel-Hirn-Trauma mit blutigem Schlaganfall. Danach hat sie sich langsam erholt, lernte zunächst wieder zu schlucken, dann zu sprechen und zuletzt zu laufen. Dann bekam sie einen epileptischen Anfall, der sie in ihrer Entwicklung komplett zurückgeworfen hat. Nun kann sie nicht mehr sprechen und nicht mehr laufen und lebt in einem Pflegeheim. Sie ist eine sehr gebildete Frau mit einem großen Freundeskreis. Nun kann sie kaum noch etwas und das Schlimme ist, dass sie sich ihrer Situation sehr bewusst ist. Sie versteht gut, kann sich aber nicht mehr mitteilen. Hinzu kommt, dass sie auch leicht dement geworden ist. Sie leidet sehr unter ihrer Situation. Ich frage mich, was ich für sie tun kann. Wie ich ihr die Kommunikation erleichtern kann. Logopädie bringt so gut wie nichts. Sie sagt nur Ja und Nein, wobei sie die Bedeutung auch noch oft verwechselt. Für Tipps bin ich dankbar.

Liebe Grüße 

Friederike

 

#2

Friederike

Heidelberg, Deutschland

Sie kann noch ihr bekannte Lieber singen. Und wenn man das sagt, was sie in diesem Moment gesagt hätte, dann wiederholt sie es manchmal. 
Darüber hinaus ist sie schrecklich unruhig. Vermutlich hat sie auch Konzentrationsschwierigkeiten. 

#3

Annin

Bayern, Deutschland

Hallo Friederike,

ich kenne mich mit Aphasie nicht wirklich aus, frage mich aber, woran du erkennst, dass sie das allermeiste versteht. 
Ansonsten gibt es viel Literatur und auch hier etliche Tipps, vielleicht helfen die weiter. Es meldet sich sicher aber noch jemand mit mehr Expertise.

Alles Gute euch!

Annin

#4

Friederike

Heidelberg, Deutschland

Hallo Annin, danke Dir. Das merke ich an ihren Reaktionen, sie lacht oder weint oder guckt überrascht in den richtigen Momenten.

liebe Grüße 

#5

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Dann bekam sie einen epileptischen Anfall, der sie in ihrer Entwicklung komplett zurückgeworfen hat. Nun kann sie nicht mehr sprechen und nicht mehr laufen und lebt in einem Pflegeheim. Sie ist eine sehr gebildete Frau mit einem großen Freundeskreis. Nun kann sie kaum noch etwas und das Schlimme ist, dass sie sich ihrer Situation sehr bewusst ist. Sie versteht gut, kann sich aber nicht mehr mitteilen. Hinzu kommt, dass sie auch leicht dement geworden ist. Sie leidet sehr unter ihrer Situation. Ich frage mich, was ich für sie tun kann. Wie ich ihr die Kommunikation erleichtern kann. Logopädie bringt so gut wie nichts. Sie sagt nur Ja und Nein, wobei sie die Bedeutung auch noch oft verwechselt. Für Tipps bin ich dankbar.

Liebe Grüße 

Friederike

 

 

Hallo Friederike,

mein Mann ist Global-Aphasiker und hatte ca. 9 Monate nach seinem Schlaganfall einem sehr ausgeprägten epileptischen Anfall (er musste deshalb mehrere Tage lang sediert werden). Danach waren alle Fortschritte bezüglich Gehen und Stehen weg und das hielt auch 2 Wochen lang an. In diesen 2 Wochen konnte ich ihn allerdings auch nicht besuchen weil wir da eine Lock-Down-Phase mit Besuchsverboten hatten.

Das Gehen kam langsam wieder, als ich wieder zu ihm konnte. Ich vermute, dass er sich einfach aufgegeben hatte, denn als ich mit ihm am ersten Tag spielerisch die Kraft seiner Beine getestet habe, war da noch Druck dahinter. 

Lange Rede, kurzer Sinn. Ausgeprägte epileptische Anfälle können Rückschritte nach sich ziehen, aber, lt. Aussage der Uni in der mein Man lag, ist es eher ungewöhnlich, wenn das so bleibt.

  • Wie lange ist der epileptische Anfall her?
  • Wieviel und welche Therapien erhält sie?
  • Wie geht es ihr seelisch?

Sie hat mit Sicherheit Konzentrationsstörungen, ob das Demenz ist wird Dir niemand beantworten können und ich würde Dir raten, bis auf Weiteres Demenz erst einmal außen vor zu lassen und mich auf das Problem "Konzentrationsstörung" konzentrieren. Ist das besser, dürfte auch die (vermeintliche?) Demenz abnehmen.

Du schreibst Logo bringt so gut wie nichts und Ja und Nein wird verwechselt. Das war bei meinem Mann auch so. Die ersten 3 Jahre war das sehr mühsam und Ja/Nein funktionierte nur dann, wenn ich auf seine Mimik geachtet habe und im Zweifelsfall noch mal nachhakte. Seit einem guten Jahr macht er logopädisch messbare Fortschritte (messbar deshalb, weil Tests durchgeführt an einer Logoschule durchgeführt wurden - im Abstand von einem guten Jahr)

Ich habe mich auch gefragt warum mein Mann 3 Jahre lang, während er 3x wöchentlich Logo erhalten hat, kaum Fortschritte machte. Und jetzt, seitdem wir die Therapeuten gewechselt haben (komplett Logo, Ergo, Physio) macht er Fortschritte. Mein Mann hat mir zum Ende hin signalisiert, dass er sich dort auch nicht so wohl fühlt und was auch anders ist zu früher: heute begleite ich meinen Mann zu den Therapien weil ich keine Fahrer bekomme. Ich bin also entweder unmittelbar dabei oder warte vor der Tür. Mein Mann machte mehrfach deutlich, dass er das mag. Es scheint ihm Sicherheit zu geben.

Motorisch waren die Fortschritte in dieser Zeit besser, aber das Feinmotorische funktioniert erst mit einer neuen Therapeutin langsam besser. Ebenso die rechte Hand.

Wie lange ist denn Deine Mutter schon in diesem Zustand?

Bekommt sie von Freunden Besuch? Wenn ja, wie gehen die damit um?

Was sagt denn die Lopopädie dazu? Welche Tipps kamen denn von ihr/ihm?

 

Was würde ich tun, wenn ich Du wäre? (ich schreibe jetzt mal runter was mir spontan durch den Kopf geht)

Zuerst einmal an der Konzentration arbeiten. Denn wenn die nicht gegeben ist, dann nützt die schönste Logo nichts. Schau mal ob du für Deine Mutter Ergo/Hirnleistungstraining verordnet bekommen kannst. Selbst könnt ihr aber auch einiges tun. 

Memory: leg ihr erst einmal einige Paare offen hin und fordere sie auf die Paare zu finden. Je nachdem wie sie das umsetzen kann, kannst Du steigern.

Puzzle .. da musst du Dich heran tasten. Fang mit Kinderpuzzeln an. Ich habe anfangs bei meinem Mann nur wenige Paare (ich glaube es waren nicht mehr als 5 oder 6) hingelegt und das dauerte beim ersten Mal Stunden (nein, ich übertreibe nicht)

Kognitive Übungen nach dem Schlaganfall: Gehirntraining (flintrehab.com) (nicht alles dürfte sofort umsetzbar sein)

Geld zählen kann ein Versuch sein (siehe Beispiel) aber beachte, dass Aphasiker auch mit Zahlen ein Problem haben können (mein Mann hatte es, fängt aber jetzt langsam an wieder in kleinen Schritten rechnen zu können) Teste es aus. Wenn es funktioniert lass Türmchen bauen in Form von: baue einen Turm mit 10 Cent Münzen bis du einen Euro zusammen hast. (da kann für manche schon sehr schwierig sein.

Lieder: das ist ganz wunderbar, dass das Deine Mutter kann. Sing mit ihr Lieder von denen Du annimmst dass das Lieder von früher sind. Mein Mann ist schwer betroffen, singt Dir aber locker flockig " es gibt kein Bier auf Hawai" 😃

Du kannst den Text ausdrucken, versuchen mit ihr zu lesen (und wenn sie das nicht kann, dann liest Du) und dann singt ihr das Lied gemeinsam. Mein Mann und ich haben übrigens mit "Marmor, Stein und Eisen bricht" angefangen. Das kann man gröhlen, das kann jeder.

Dieses Phänomen ist bekannt  Studie: Singen verbessert die Gehirnfunktion - Gedankenwelt aber auch Singen nach Schlaganfall: Rhythmus und Floskeln sind wichtiger als die Melodie | Max-Planck-Gesellschaft (mpg.de) (der These des Max-Planck-Instituts schließe ich mich an. Bei meinem Mann funktionierte auch das "Vater unser " wenn wir es gemeinsam sprachen. Manchmal war er sogar besser als ich wenn es darum ging nach einer Unterbrechung den Einsatz/richtige Stelle wieder zu finden. (wir hatten allerdings in der Reha einen Logopäden der davon noch nie gehört hatte und das abtat. Lass Dich nicht ins Bockshorn jagen, singen bewirkt positives und sei es nur, dass sie wieder ihre Stimme hört.) Ich kaspere übrigens auch beim Singen herum und wir wählen Lieder bei denen ein wenig Pantomime rein passt. Wie z.B. "das Bier auf Hawai", oder "der Harung in den sich eine olle Flunder verliebt hat" 29216_In_einen_Harung.pdf (liederprojekt.org), oder den "Tirolerhut" (ich fürchte fast, du kennst das alles gar nicht, passt aber zum Alter Deiner Mutter). Vielleicht hattet ihr ein Kinderlied das ihr häufig gesungen habt, dann nimm das für den Anfang. Und wenn das alles zu schwierig ist: "Fuchs Du hast die Gans gestohlen" oder "alle meine Entchen" wäre fürs Erste auch eine Option.

Wenn das klappt, dann kann man versuchen über Sprichwörter Worte heraus zu locken. Du sagst das Sprichwort vor und lässt das letzte Wort aus. Wie z.B.

- der Apfel fällt nicht weit vom XX 

und Deine Mutter vervollständigt "Stamm" und wenn ihr das nicht möglich ist, dann prüfe wie sie auf Anlauthilfen reagiert (falls du das nicht kennst, nochmal nachfragen)

Ich habe bei meinem Mann den Eindruck, dass es ihm gut tut - vor allem nimmt es ihm die Hemmung ein Wort auszusprechen. 

Seitdem mein Mann Fortschritte macht stelle ich fest, das ihm beim Üben manchmal ein Wort auf den Lippen liegt und er dann stockt. Wenn ich ihm dann sage:." komm' sprich's aus. Trau Dich. " dann ist das bisher immer korrekt gewesen. Er hat mir auch bestätigt, dass er befürchtet, dass es falsch ist und da nützt es auch nichts, wenn ich ihm versichere, dass er bei mir gar nichts falsch sagen kann. 

Mein weitere Eindruck ist .. die Sprache wird nicht nur durch die Schädigung des Sprachzentrums gehemmt, sondern auch durch die Psyche.

Ach so.. was das falsche ja/nein angeht .. das hat mein Mann bis heute. Das ist bei ihm ein Konzentrationsproblem. Inzwischen merkt er meistens, wenn er falsch geantwortet hat und korrigiert. Aber das war lange Zeit nicht so.

Zusammengefasst: ich würde erst einmal

- viel mit ihr singen

- Konzentrationsübungen (welche da passen könnten ist abhängig davon wie gut die Konzentration ist. Kann sie mit Tablets umgehen?)

- Versuchen Hirnleistungstraining zu erhalten

- Physio für die Motorik sowieso

- Stimulation der Füsse, Beine, Arme (Seite der Lähmung)

Schau einfach erst einmal auf was sie reagiert. 

Und ganz zu Letzt: Bei Deiner Mutter wird der Schlaganfall maximal ein Jahr her sein. Das ist keine Zeit - eure Zeitrechnung fängt zumal mit dem epileptischen Anfall an. Es gibt keinen Grund jetzt schon zu resignieren!

 

und das hier habe ich gerade noch ausgegraben Aufmerksamkeitstraining bei Aphasie (bildungszentrum-reichenbach.de) 

einfache Wimmelbilder wären z.B. auch eine Option.


Dieser Beitrag wurde bereits 4 mal bearbeitet, zuletzt von »Amsel« (Gestern, 02:31)
#6

Friederike

Heidelberg, Deutschland

Liebe Amsel,

vielen vielen lieben Dank für Deine ausführliche und mutmachende Nachricht! Ich vermute, dass dein Mann jünger ist als meine Mutter. Und, dass bei ihr der Weg steiniger sein wird, trotzdem. Du macht mir Mut. Der epileptische Anfall war im November, seitdem hat sie wenig Fortschritte gemacht. Hinzu kamen auch noch Fehler bei der Medikamentierung, das hat sie sehr geschwächt. Aber ich gebe Dir recht, die Konzentrationsschwäche ist vermutlich das größte Problem. Ich wohne leider in einer anderen Stadt, aber mein Vater, meine Brüder und ich könnten uns vornehmen, die gleichen Übungen mit ihr zu machen und enger mit der Logopädin zusammenzuarbeiten. Auch wegen der Ergo werde ich mich informieren. Ein großes Problem ist auch die Psyche, meine Mutter ist sehr niedergeschlagen. Daran müssen wir auch arbeiten. Ich werde berichten! 

Ich wünsche Dir und Deinem Mann alles alles Gute!! 

Herzlichen Dank und liebe Grüße aus Heidelberg!

Friederike

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