#31

Etcetera

Basel, Schweiz

Die Heimkehr wird nach meiner Erfahrung fast immer falsch eingeschätzt, von den Angehörigen wie auch von den Betroffenen. Es gibt wohl eher wenige die heimkommen und alles läuft so weiter, wie es aufgehört hat. Ich zähle mich auch zu dieser Gruppe. Im Spital ist man in einer geschützten und reizarmen, kleinen Welt. Keine Stolperfallen, überall Handläufe, alles gut ausgeleuchtet, kaum Beschäftigung aber Betreuung rund um die Uhr und so weiter.

Der Patient muss zuerst unendlich viel neu lernen, die Angehörigen müssen "mit einer de facto fast fremden Person" klar kommen, die mehr oder weniger auf Hilfe angewiesen ist.

Im Hirn des Patienten ist oft viel gelöscht und durcheinander, zudem braucht der Heilungsprozess viel Energie und macht öfter mal das durcheinander perfekt. So kommt es oft zu Konflikten, das lässt sich kaum vermeiden.

"Er hat natürlich ein hartes Schicksal zu tragen":
Das ist so, die Angehörigen sind aber genau so betrofffen, wenn auch in einer anderen Art.

"… dass ich ihn auch mal eine Stunde allein lassen kann …":
Wenn immer irgend wie möglich, solltest Du Dir Deine Freiräume schaffen, sinngemäss jeden Mittwoch Kaffekränzchen mit Freundinnen und dergleichen. Notfalls kann vielleicht jemand vertrautes in dieser Zeit hüten.

Vielleicht findest Du eine (am besten von Fachleuten moderierte) Selbsthilfegruppe für Angehörige. Erfahrungsaustausch und "von der Leber reden" sind sehr wertvoll.

Und mache Dir kein schlechtes Gewissen, wenn mal was daneben geht oder wenn es Ärger gibt, das gehört dazu.

Liebe Grüsse
Christoph

#32

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Hallo Christoph,

die Heimkehr und die möglichen Probleme werden deshalb falsch eingeschätzt weil es von Seiten des Reha-Personals keine Unterstützung gibt. Zumindest kam bei uns von dort gar nichts - trotz mehrfachem Nachfragen in alle möglichen Richtungen. Das lief damals.. raus mit ihm, egal wie. Man hat meinen Mann z.b. mit einer 3 Tage schon andauernden Verstopfung entlassen ohne mir einen Hinweis zu geben. 

Um die Angehörigen kümmert sich sowieso kaum jemand. Man hat klar zu kommen und in der Reha zuzuarbeiten. Andernfalls stört man nur. 

Klingt das bitter? Etwas vielleicht. Im Rückblick, jetzt, nachdem ich mich nach fast 5 Jahren endlich etwas sortiert habe und für die Zukunft einiges in die Wege geleitet habe was vor allem mich entlasten soll, werde ich sogar reichlich zornig. Was da auf dem Rücken der Angehörigen getrieben wurde und wird ist menschenunwürdig - na ja, zumindest zivilisationsunwürdig.

Von den Selbsthilfegruppen sollte man auch nicht allzuviel erwarten. Aber einen Versuch sind sie wert sofern sie nicht ausgerechnet zu den Zeiten sich treffen an denen man arbeitet. Das ist leider gar nicht so selten.

 

Das hier unterschreibe ich :

"Er hat natürlich ein hartes Schicksal zu tragen":
Das ist so, die Angehörigen sind aber genau so betrofffen, wenn auch in einer anderen Art.

Es gab manchmal Phasen, da habe ich meinen Mann beneidet. Da wäre ich gerne an seiner Stelle gewesen so erschöpft war ich und so voller Angst. Klingt absurd? Ist es ja auch - zeigt aber auch wie alleine gelassen wir Angehörigen oft sind.

Eine Witwe darf trauern. Dafür hat jeder Verständnis. Wenn man aber trauert weil man weiß, dass sämtliche Pläne, Träume, Ziele, Wünsche nie realisiert werden können weil sie (fast) alle mit dem Partner verbunden waren, wenn man trauert weil "die große Freiheit mit Renteneintritt" keine werden wird, dann versteht das niemand - oder man möchte es nicht hören und wendet sich eher peinlich berührt ab. Wir dürfen das denken, aber wir dürfen das nicht aussprechen. Und das wir das denken, dafür dürfen wir uns auch noch schämen. Dabei wäre einiges nur halb so schlimm, wenn das Umfeld anders agieren würde. Das Problem ist nicht nur die angeschlagene Lebenssituation.

Dabei hat das doch gar nichts damit zu tun, dass man seinen Partner nicht bei sich haben möchte. Ich wäre z.B. nicht freier, glücklicher oder fröhlicher wenn mein Mann im Pflegeheim wäre. Vermutlich eher im Gegenteil - ich würde ihn vermissen. Es hat nichts damit zu tun, dass man Zeit und Geduld aufwenden muss. Bei mir hat es mehr damit zu tun, dass wir nicht mehr unbeschwert sind, nicht mehr miteinander richtig sprechen können und ich einsame Monologe führe und froh sein kann, wenn er in einzelnen Worten versucht mitzuteilen was er von einer Sache hält. Daran ändert aber auch ein Pflegeheim nichts. Inzwischen bessert sich das alles, manches wird tatsächlich leichter und eigentlich müsste ich mich langsam entspannen können. Mir stecken aber die vergangenen Jahre im Moment noch so in den Knochen, dass ich die Entspannung (noch?) nicht spüren kann.

Es gibt aber auch einen anderen, einen positiven Aspekt an der ganzen Misere. Jetzt, nach fast 5 Jahren, stelle ich für mich fest, dass ich gewachsen bin und gerade beginne ich so etwas wie Egoismus zu kultivieren. Ich wachse also immer noch und das finde ich nun überraschender Weise sogar spannend weil ich mich in eine Richtung entwickelt habe, die mir früher nie möglich war. Na ja, ich hätte zwar gerne auf diese Erfahrung verzichtet, aber wenn man schon das erleben muss was wir durchleben, dann bitte schön auch mit einigen positiven Aspekten. Und einer davon ist eben: man festigt sich innerlich - sofern man nicht an der Situation zerbricht.

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