#31

Etcetera

Basel, Schweiz

Die Heimkehr wird nach meiner Erfahrung fast immer falsch eingeschätzt, von den Angehörigen wie auch von den Betroffenen. Es gibt wohl eher wenige die heimkommen und alles läuft so weiter, wie es aufgehört hat. Ich zähle mich auch zu dieser Gruppe. Im Spital ist man in einer geschützten und reizarmen, kleinen Welt. Keine Stolperfallen, überall Handläufe, alles gut ausgeleuchtet, kaum Beschäftigung aber Betreuung rund um die Uhr und so weiter.

Der Patient muss zuerst unendlich viel neu lernen, die Angehörigen müssen "mit einer de facto fast fremden Person" klar kommen, die mehr oder weniger auf Hilfe angewiesen ist.

Im Hirn des Patienten ist oft viel gelöscht und durcheinander, zudem braucht der Heilungsprozess viel Energie und macht öfter mal das durcheinander perfekt. So kommt es oft zu Konflikten, das lässt sich kaum vermeiden.

"Er hat natürlich ein hartes Schicksal zu tragen":
Das ist so, die Angehörigen sind aber genau so betrofffen, wenn auch in einer anderen Art.

"… dass ich ihn auch mal eine Stunde allein lassen kann …":
Wenn immer irgend wie möglich, solltest Du Dir Deine Freiräume schaffen, sinngemäss jeden Mittwoch Kaffekränzchen mit Freundinnen und dergleichen. Notfalls kann vielleicht jemand vertrautes in dieser Zeit hüten.

Vielleicht findest Du eine (am besten von Fachleuten moderierte) Selbsthilfegruppe für Angehörige. Erfahrungsaustausch und "von der Leber reden" sind sehr wertvoll.

Und mache Dir kein schlechtes Gewissen, wenn mal was daneben geht oder wenn es Ärger gibt, das gehört dazu.

Liebe Grüsse
Christoph

#32

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Hallo Christoph,

die Heimkehr und die möglichen Probleme werden deshalb falsch eingeschätzt weil es von Seiten des Reha-Personals keine Unterstützung gibt. Zumindest kam bei uns von dort gar nichts - trotz mehrfachem Nachfragen in alle möglichen Richtungen. Das lief damals.. raus mit ihm, egal wie. Man hat meinen Mann z.b. mit einer 3 Tage schon andauernden Verstopfung entlassen ohne mir einen Hinweis zu geben. 

Um die Angehörigen kümmert sich sowieso kaum jemand. Man hat klar zu kommen und in der Reha zuzuarbeiten. Andernfalls stört man nur. 

Klingt das bitter? Etwas vielleicht. Im Rückblick, jetzt, nachdem ich mich nach fast 5 Jahren endlich etwas sortiert habe und für die Zukunft einiges in die Wege geleitet habe was vor allem mich entlasten soll, werde ich sogar reichlich zornig. Was da auf dem Rücken der Angehörigen getrieben wurde und wird ist menschenunwürdig - na ja, zumindest zivilisationsunwürdig.

Von den Selbsthilfegruppen sollte man auch nicht allzuviel erwarten. Aber einen Versuch sind sie wert sofern sie nicht ausgerechnet zu den Zeiten sich treffen an denen man arbeitet. Das ist leider gar nicht so selten.

 

Das hier unterschreibe ich :

"Er hat natürlich ein hartes Schicksal zu tragen":
Das ist so, die Angehörigen sind aber genau so betrofffen, wenn auch in einer anderen Art.

Es gab manchmal Phasen, da habe ich meinen Mann beneidet. Da wäre ich gerne an seiner Stelle gewesen so erschöpft war ich und so voller Angst. Klingt absurd? Ist es ja auch - zeigt aber auch wie alleine gelassen wir Angehörigen oft sind.

Eine Witwe darf trauern. Dafür hat jeder Verständnis. Wenn man aber trauert weil man weiß, dass sämtliche Pläne, Träume, Ziele, Wünsche nie realisiert werden können weil sie (fast) alle mit dem Partner verbunden waren, wenn man trauert weil "die große Freiheit mit Renteneintritt" keine werden wird, dann versteht das niemand - oder man möchte es nicht hören und wendet sich eher peinlich berührt ab. Wir dürfen das denken, aber wir dürfen das nicht aussprechen. Und das wir das denken, dafür dürfen wir uns auch noch schämen. Dabei wäre einiges nur halb so schlimm, wenn das Umfeld anders agieren würde. Das Problem ist nicht nur die angeschlagene Lebenssituation.

Dabei hat das doch gar nichts damit zu tun, dass man seinen Partner nicht bei sich haben möchte. Ich wäre z.B. nicht freier, glücklicher oder fröhlicher wenn mein Mann im Pflegeheim wäre. Vermutlich eher im Gegenteil - ich würde ihn vermissen. Es hat nichts damit zu tun, dass man Zeit und Geduld aufwenden muss. Bei mir hat es mehr damit zu tun, dass wir nicht mehr unbeschwert sind, nicht mehr miteinander richtig sprechen können und ich einsame Monologe führe und froh sein kann, wenn er in einzelnen Worten versucht mitzuteilen was er von einer Sache hält. Daran ändert aber auch ein Pflegeheim nichts. Inzwischen bessert sich das alles, manches wird tatsächlich leichter und eigentlich müsste ich mich langsam entspannen können. Mir stecken aber die vergangenen Jahre im Moment noch so in den Knochen, dass ich die Entspannung (noch?) nicht spüren kann.

Es gibt aber auch einen anderen, einen positiven Aspekt an der ganzen Misere. Jetzt, nach fast 5 Jahren, stelle ich für mich fest, dass ich gewachsen bin und gerade beginne ich so etwas wie Egoismus zu kultivieren. Ich wachse also immer noch und das finde ich nun überraschender Weise sogar spannend weil ich mich in eine Richtung entwickelt habe, die mir früher nie möglich war. Na ja, ich hätte zwar gerne auf diese Erfahrung verzichtet, aber wenn man schon das erleben muss was wir durchleben, dann bitte schön auch mit einigen positiven Aspekten. Und einer davon ist eben: man festigt sich innerlich - sofern man nicht an der Situation zerbricht.

#33

Etcetera

Basel, Schweiz

Guten Tag Petra

Einerseits sollte nach meiner Meinung der Patient und die Angehörigen schon besser auf die ″Post-Klinik/Reha-Zeit″ vorbereitet werden. Andererseits sind die Patienten und deren Schlaganfall-Behinderungen und -gebrechen sowie die Umfelder sehr vielfältig. Da kann eine umfassende Einschätzung schon arg schwierig sein. Darum – und aus eigener Erfahrung – finde ich Selbsthilfegruppen und auch Foren wie dieses sehr wertvoll. Ein/ guter Haus-Arzt/Ärztin kann da auch sehr unterstützend sein.

Aber klar, etwas mehr Aufklärung gegenüber allen Betroffenen wäre nötig, dies ganz besonders in der ersten Zeit nach der Heimkehr. Allerdings tut sich dieses Problem nicht nur bei Schlaganfall-Patienten auf.


Dem Teil Deines Posts zum Thema ″Schicksal tragen″ kann ich gerade nicht richtig folgen. Das dürfte wohl an meiner etwas wirren Tagesverfassung liegen – pardon. Trotzdem:

Nein, ich finde es auf keinen Fall ″absurd″, wenn Du phasenweise Deinen Mann um seine Situation ″beneidet″ hast. Ähnlich geht es vielen, die eine viel zu grosse Bürde tragen müssen. Es ist auch unter SA-Betroffenen ab und zu ein Thema, dass jemand mit vorwiegend körperlichen Gebrechen mit jemandem ″tauschen möchte″ der vorwiegend unter unsichtbaren Gebrechen leidet.

Das Thema trauern habe ich völlig vergessen. Vor langer Zeit las ich einen Artikel exakt über Patienten, die um ihre verlorene (mir fehlt das Wort:) Gesundheit, Können, Intellekt, sozialen Umgang und so weiter) trauern. Das ist durchaus ein Thema, ein schwieriges natürlich. Es geht ja darum, mit diesem Prozess seine Vergangenheit endgültig zu besiegeln und gleichzeitig eine neue, aufgezwungene Realität und Zukunft akzeptieren zu lernen. Und das alles aus einer Situation heraus, die alleine so schon kaum zu bewältigen ist. (Ich finde den Artikel leider nicht mehr)

Wir dürfen das denken, aber wir dürfen das nicht aussprechen. Und das wir das denken, dafür dürfen wir uns auch noch schämen.″ Nein, das sehe ich genau umgekehrt. Aussprechen was einem Bedrückt, ist essentiell; sich dafür schämen? Nein, warum denn auch? ″Gedankenspiele″ wie beispielsweise den Partner ins Heim zu geben, dürfen kein Tabu sein. Solche Gedanke und das Gespräch darüber sind doch essentiell, um seine eigene Situation überhaupt einschätzen zu können. Man sollte dabei einfach das Glück haben, an die ″richtigen″ Leute zu kommen.

Das, was Du da als ″Egoismus″ bezeichnest ist wohl eher Selbstschutz - und das ist gut so. Ich glaube, darüber haben wir schon früher diskutiert. Ohne eine gewisse Distanz geht es schlicht und einfach nicht. Ich denke, Du kannst durchaus stolz darauf sein, wie Du Eure ganze Situation meisterst.

 

#34

Christine

Koblenz, Deutschland

Hallo Petra und Christoph,

"Nein, ich finde es auf keinen Fall ″absurd″, wenn Du phasenweise Deinen Mann um seine Situation ″beneidet″ hast."

Auch wenn bei uns der Schlaganfall noch nicht so lange zurückliegt, kann ich den Gedanken verstehen. Als Partner ist man mit einer riesigen Bürde allein, muss für alles sorgen, planen, alles für zwei Menschen regeln und existentielle Sorgen allein tragen, weil der Mensch, mit dem man zusammenlebt, dazu nichts mehr beitragen kann. Für den Lebensunterhalt sorgen, den Haushalt, die medizinische und therapeutische Versorgung des Partners, für den Partner Impulsgeber sein und ihn auffangen, wenn er depressiv ist ... Das ist alles zu viel. In den ersten Monaten nach dem Schlaganfall, wenn ich abends aus der Klinik kam und völlig erschöpft war, dachte ich oft, dass mir Ben jetzt fehlt. Der Ben von früher, mit dem ich meine Sorgen teilen konnte, der mich getröstet und aufgefangen hat. Jetzt ist er jemand, den ich liebe und für den ich sorge und auf den ich nicht verzichten wollte, aber mit meinen Sorgen und Bedürfnissen bin ich allein. 

Und das Umfeld ... Ich ahne, dass es nach der Reha schwer wird. Wer nicht betroffen ist, weiß über die Folgen eines Schlaganfalls nicht Bescheid. Bei Freunden höre ich jetzt schon die Erwartung heraus, dass Ben bald wie früher an gemeinsamen Aktivitäten teilnehmen kann ... Und wenn die Motorik etwas besser sei, sei ja alles wieder wie früher ... Ich fürchte, viel Verständnis für unsere Situation kann ich nicht erwarten. Ich bin gespannt, welche Freunde am Ende wirklich übrig bleiben, denn man hört von vielen Betroffenen, dass der Freundeskreis sich mit der Zeit ausdünnt.

#35

Etcetera

Basel, Schweiz

Guten Abend Christine

Ja, das soziale Umfeld dünnt sich oft aus. Ich denke, es sind wohl meist die gleichen Gründe:

Ein Schlaganfall stellt das Leben des Patienten und der Angehörigen oft völlig auf den Kopf. Die Betroffenen, also Patient/in mit Lebenspartner/in sind plötzlich mit gewaltigen Problemen, Belastungen und Ängsten konfrontiert, die von Aussenstehenden verständlicherweise nicht nachvollzogen werden können. Was im Hirn, der Patienten alles abgeht und welche Auswirkungen das auf ihn hat, können selbst die allernächsten Angehörigen nicht wirklich nachvollziehen, das ist einfach so. Durch ein solchermassen dramatisches Ereignis und den ganzen Folgen, ändern sich die Lebensumstände erheblich und viele Prioritäten müssen angepasst werden. Und dann läuft es wohl ähnlich, wie wir es in jungen Jahren erlebten, wenn ein Baby kam. Alte Kontakte verlieren sich, wenige kommen dazu.

Und so kann man seine Leute wirklich kennen lernen, die Aufgeschlossenen, die Gehemmten, die Philanthropen, die Empathischen, die Idioten, die Eifersüchtigen, die Warmherzigen. Der Rest ergibt sich dann früher oder später. So jedenfalls habe ich es erlebt. Einige haben sich von mir abgewendet und auch ich zog mich weitgehend zurück. Bisher bin ich ganz zufrieden mit meinem "Eigenbrötler"-Dasein, während meine Partnerin mit "1'000 Freundinnen" ihr Rentendasein geniesst.

Liebe Grüsse
Christoph

#36

Christine

Koblenz, Deutschland

Lieber Christoph,

"Ein Schlaganfall stellt das Leben des Patienten und der Angehörigen oft völlig auf den Kopf."

Ja, und damit verändern sich Prioritäten, die Sicht auf die Welt und das Leben, die eigenen Einstellungen. Ich habe im letzten Jahr gemerkt, dass mich mit Freunden von früher immer weniger verbindet. Sie können so weitermachen wie vorher, freuen oder ärgern sich über Dinge, die mir völlig fremd geworden sind, weil mein ganzes Denken nur noch um Bens Krankheit kreist. Was auch nicht anders geht, weil seine Krankheit auch in meinem Leben alles umgeworfen hat. Ich erinnere mich an ein Treffen mit Freundinnen, an denen diese enthusiastisch eine Feier geplant haben und ich mir vorkam wie auf einem anderen Planeten. Oder an ein Gespräch in den ersten Wochen nach Bens Schlaganfall. Ein Arzt hatte mir mitgeteilt, dass Ben womöglich erblindet sei, und eine Bekannte wollte von mir Mitgefühl, weil ihre Tochter einen Schokoladenfleck auf dem Sofa hinterlassen hat. Dieser Kontakt besteht heute nicht mehr ... Ich merke an mir selbst, dass ich mich zurückziehe und mir alte Freundschaften weniger bedeuten. Es ist wohl nicht zu ändern, dass man sich von dem alten Umfeld entfernt. Aber zum Glück kommen neue Kontakte hinzu, und das sind vor allem Menschen, die das eigene Schicksal teilen.

Liebe Grüße
Christine

 

#37

Etcetera

Basel, Schweiz

Grüss Dich Christine

Hohle Beziehungen kosten mich nur Kraft für nichts und meine Persönlichkeits-Veränderung tut den Rest. Ob die Rechnung langfristig aufgeht? Schade jedenfalls, dass Du schon jetzt solche Erfahrungen machst. Es trennt sich wohl bereits die Spreu vom Weizen.

Was ich zu schreiben vergass: Es gibt Leute, die haben schlicht und einfach Hemmungen und Berührungsängste ("sowas Fragt man nicht" oder "das könnte verletzend sein usw."). Die mir wichtigen unter ihnen habe habe ich etwas "bei der Hand genommen". Ich erklärte situativ, dass Fragen in Ordnung sind, wo (für mich als Betroffener) die Grenzen beginnen und wo ich auf Rücksicht hoffe. Das funktionierte ganz gut und manchmal ergeben sich daraus wertvolle Gespräche.

Ich hoffe, Dein Partner und Du verliert nicht zu viele Freunde und Bekannte.

Liebe Grüsse

Christoph


Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal bearbeitet, zuletzt von »Etcetera« (Heute, 13:53)
#38

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

 

Guten Abend Christoph,

sicher, die Auswirkungen eines Schlaganfalls sind vielfältig, wenn aber so absolut gar nichts mitgegeben wird, dann ist das eine Schande für eine Gesellschaft wie unsere. Vieles, sehr vieles habe ich selbst heraus finden müssen und so manches habe ich dann im Anschluss den Medizinern vermittelt - sofern sie mir über den Weg getraut haben. Ich habe und hatte häufig den Eindruck, dass mich viele von ihnen für eine Wichtigtuerin hielten und halten. Abgesehen davon, dass sie auch keine Ahnung zu haben scheinen was es bedeutet mit einem Aphasiker zusammenzuleben. Mein Hausarzt z.B. hatte z.B. unlängst Bedenken, dass mir langweilig werden könnte wenn ich Ende des Jahres in Rente gehe. Meinen hohen Blutdruck ordnet er nach wie vor meinem Übergewicht zu .. dass ich durch den Tag hetze kann er sich nicht vorstellen und dass der Blutdruck zumindest teilweise auch davon kommen kann - nämlich fast 5 Jahre lang non Stop Dauertempo - das existiert in seiner Vorstellung gar nicht.

Aber bei uns in der Ecke, wie in so vielen Gegenden Deutschlands, sieht es auch nicht all zu gut mit der medizinischen Versorgung aus. Da kann man keine Ansprüche an die Fähigkeiten und Kenntnisse eines Mediziners stellen.

Ich selbst fand unsere ersten Jahre deshalb besonders schwierig weil mein Mann nicht sprechen kann und damals noch weniger als heute und zudem damals immer wieder auch verwirrt war. Damit sind selbst so einfache Dinge wie z.B. Schmerzen nur sehr sehr schwierig abfragbar. Das kann sich niemand vorstellen wie das ist und vor allem was es für Auswirkungen auf den Alltag hat wenn ein Mensch eine schwere Aphasie hat. Will man mit diesem Menschen würdevoll umgehen, dann muss der Tag eigentlich 48 Std. haben und man benötigt Geduld und Durchhaltewille wie für 10 Kinder. Als Angehöriger lebt man zwangsläufig das Leben des Anderen zusätzlich. Man regelt alles, man versucht heraus zu finden was der Betroffene möchte, man versucht ihn zu fördern und zu fordern, man versucht ihn einzubinden und wieder ins Leben zu schieben. Ja schieben. Ganz ehrlich, ich hätte gar keine Zeit für viele Freundinnen, so wie das Deine Frau hat. Freundschaften wollen ja auch gepflegt werden. Abgesehen davon geht es mir wie Christine, ich weiß gar nicht was ich erzählen soll. Das was mich bewegt befremdet Nicht-Betroffene, so dass ich zwar zuhören, aber nichts mehr zur Unterhaltung beitragen kann. 

Christine hat es treffend beschrieben. Man lebt auf einem anderen Planeten - Und das nicht nur im privaten Umfeld. 

Bei uns sind alle Bekannten die in räumlicher Nähe leben weg gebrochen. Viele von Anfang an und die, die dann noch da waren als mein Mann aus der Reha entlassen wurde und ihn dann erlebten, die waren danach weg. Eine tauchte dann noch einmal nach einem Jahr auf, fand es aber wohl befremdlich das ich Rücksicht auf unser langsames Tempo erwartete - und seitdem war es das. Einer blieb als Telefonkontakt - den pflege ich jetzt weil man am Telefon eben sprechen können muss. Mein Mann und er sind lange Jahre einen gemeinsamen Weg gegangen - sie haben eine Verbindung die da ist und in der keine Erwartungen erfüllt werden müssen. Das war bei den Beiden aber schon vorher der Fall.

Lediglich einer der alten Kontakte meines Mannes hat uns beide überrascht. Zum ihm bestand am wenigsten Kontakt und vor allem auch eher etwas distanziert. Aber genau der meldet sich immer wieder und ist unproblematisch im Umgang und das obwohl er sehr viel um die Ohren hat. Wir sind uns näher gekommen als früher.

Und meine Kontakte? Tja... ich bin zu ernst geworden, nicht mehr unbeschwert genug. Meine Vorliebe für Situationskomik befremdet deutlich. Ich hatte allerdings auch vor dem Schlaganfall nur lose Kontakte. Dass es die nicht mehr gibt schmerzt weniger. Ich stelle eben nur fest, dass ich als Mensch da nicht mehr dazu passe.

Ich will aber nicht klagen, denn ich habe in diesen Jahren einige wenige Menschen kennengelernt mit denen ich einen Umgang pflegen kann der mir entspricht und der auch deutlich besser zu mir passt als der mit den Menschen vor dem Ereignis. Insofern eigentlich ein Gewinn den es nie gegeben hätte ohne das Ereignis. Ich trauere den alten Kontakten nicht hinterher - ich stelle nur fest. Anfangs sah das aber anders aus. In den ersten Jahren hätte ich dringend jemanden gebraucht der mir zumindest das Gefühl vermittelt im Notfall da zu sein. 

Man verändert sich einfach und passt dann nicht mehr dazu. Bei mir haben die letzten Jahre Eigenschaften hervor gekitzelt die ich mir selbst nicht zugetraut hätte. Dennoch trauere ich auch um den Menschen der ich mal war. 

Trauer ... niemand wundert sich darüber, wenn der Schlaganfallbetroffene trauert. Aber (fast) jeder ist überrascht, wenn das der Angehörige tut. Das läuft dann unter "Egoismus". Man ist kein "Gutmensch" wenn man trauert. Man muss doch dankbar sein, dass der Partner noch lebt. 

Mir ist z.B. im Grunde meine ganze kleine Welt zusammengebrochen, denn mein Mann war meine Welt und ist es immer noch. Sicher, jeder von uns hatte seine Bereiche die er alleine hatte, aber wir erzählten uns davon. Vielleicht macht deutlich was ich meine, wenn ich die folgende kleine Begebenheit berichte:

Mein Mann war Lehrer. Nach seiner Pensionierung waren wir im Supermarkt einkaufen und trafen da auf eine ehemalige Schülerin von ihm. Die strahlte mich an und meinte, dass sie sich freuen würde mich endlich auch mal persönlich kennenzulernen. Innerlich wunderte ich mich darüber, denn welchen Schüler hat je die Ehefrau eines Lehrers interessiert? Ich bekam aber die Erklärung auch sofort nachgeliefert. Sie meinte: "wenn wir in der Schule diskutierten, dann hat ihr Mann so oft zu uns gesagt: das muss ich heute Abend meiner Frau erzählen. Ich bin gespannt was sie dazu sagt. " 

Umgekehrt war das ähnlich. Der Partner war immer, auch wenn wir getrennt waren, irgendwie mit dabei. 

Heute fehlt mir das so sehr. Diese sehr eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeit bei der man auch noch Gefahr läuft von einem Missverständnis ins nächste zu stolpern ... die ist für mich schlimm. Richtig schlimm. Um den nicht mehr möglichen Gedankenaustausch trauere ich jeden Tag - seit fast 5 Jahren und diese Trauer lässt nicht nach. Aber sagen, sagen darf man das nicht weil man ja dankbar zu sein hat. 

Das meinte ich mit: wir dürfen es nicht aussprechen und wenn wir es tun wird uns vermittelt, dass wir uns dafür schämen sollten. 

Und ja, Du hast natürlich Recht: ausprechen zu dürfen was einen bedrückt ist wichtig. Und da habe ich Glück im Unglück... es gibt inzwischen neue Kontakte wo das möglich ist und wo ich mich auch traue meine "schwärzesten" Gedanken zu äussern und vor allem, wo ich den Eindruck habe, dass man mich mag so wie ich bin - genau so. 

Wie sagt man so schön: Immer wenn Du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.

Da ist etwas dran. So war das bei mir schon immer und es bewahrheitet sich auch in dieser Situation. Allerdings musste ich auf das Lichtlein etwas länger warten.

Mir ist es wichtig meine Gedanken, meine Sicht als Angehörige, meine Betroffenheit hier zu beschreiben. Über die Patienten schreibt man in vielen Foren sowieso. Angehörige fallen in der Regel hinten runter und werden allenfalls mit diesem (sorry) saudummen Satz "Sie müssen auch an sich denken" abgespeist. Dass wir handfeste Hilfe zum "an sich denken" benötigen würden, das blendet man lieber aus und wendet sich mit leichtem Gruseln ab.

Ich schreibe das hier, weil ich andere Angehörige ermuntern möchte zu ihren Gedanken zu stehen und sich nicht zu schämen. Das erleichtert auch schon vieles und vielleicht schafft es ja auch hier und da Bewusstsein.  

 

#39

Amsel

Main-Tauber-Kreis, Deutschland

Lieber Christoph,

"Ein Schlaganfall stellt das Leben des Patienten und der Angehörigen oft völlig auf den Kopf."

Ja, und damit verändern sich Prioritäten, die Sicht auf die Welt und das Leben, die eigenen Einstellungen. Ich habe im letzten Jahr gemerkt, dass mich mit Freunden von früher immer weniger verbindet.

......

Liebe Grüße
Christine

 

Hallo Christine,

Du beobachtest sehr gut und vor allem ist Deine Analyse sehr treffend. Das schreibe ich auch in Bezug auf Deine anderen Beiträge. Du bist nach einem Jahr weiter und vor allem klarer als ich. 

Neue Kontakte sind in der Tat wichtig. Ich hatte nach der Reha ebenfalls Kontakt zu einem Aphasiezentrum aufgenommen weil mir damals schon klar war, dass unsere Kontakte sich auflösen werden. Wir hatten leider das Pech, dass dann Corona ausbrach und damit war für 2 Jahre fast alles was Kontakte anging auf Eis gelegt. Dieses Pech habt ihr (hoffentlich) nicht und so kann ich Dich nur ermuntern diese Möglichkeit zumindest zu testen. Das kann gut gehen, das kann im Sande verlaufen ... aber irgend etwas wirst Du daraus mit nehmen.

 

 

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